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Reden

Redebeitrag 27.09.20

Safe Abortion Day – Rede I

Morgen, am 28. September, ist internationaler „Safe Abortion Day“. In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch eine Straftat und nur straffrei, wenn gewisse Bedingungen, wie die Beratungspflicht und die 12-Wochen-Frist, eingehalten werden. Ärzt*innen, die darüber informieren Abbrüche durchzuführen – wie es etwa Kristina Hänel, Nóra Szász oder Bettina Gaber getan haben – werden durch das sogenannte „Werbeverbot“ des §219a kriminalisiert. Es ist skandalös, dass dieser Paragraph, der seinen Ursprung in der NS-Zeit findet, trotz der starken feministischen Mobilisierung der letzten Jahre einfach weiterbesteht. Doch die Doppelmoral der deutschen Gesetzgebung – und ihre eugenische Geschichte – werden in Anbetracht dessen klar, dass Abbrüche sehr wohl im Falle potenzieller Beeinträchtigungen des Kindes (wie etwa bei Down-Syndrom) ermöglicht werden – und zwar dann als „medizinische Indikation“ ohne eine gesetzliche Frist.

Die Bedingungen und individuellen Lebenslagen, unter denen Schwangere einen Abbruch durchführen sind zahlreich und variieren stark. Dabei ist es wichtig die sexistischen, rassistischen und ableistischen Verhältnisse, die all diese Lebenslagen prägen, miteinzubeziehen. So müssen wir den Gründen einer schwangeren Person einen Abbruch durchzuführen stets mit Verständnis begegnen. Dennoch erkennen wir die kritische Tendenz, dass in der derzeitigen kapitalistischen Gesellschaft vermehrt das, was als ‚Leben‘ oder ‚lebenswert‘ gilt, von Beginn an bewertet wird. Für uns ist es deshalb eindeutig, dass wenn wir Selbstbestimmung fordern, dies mit der Forderung nach einer Änderung der derzeitigen gesellschaflichen Verhältnisse einhergeht.

Und genau darum ist es auch von so großer Bedeutung, dass wir der sogenannten ‚Pro-Life‘- Bewegung Einhalt gebieten. Diese weltweit erstarkende christlich-fundamentalistische Bewegung muss in ihrer rassistischen, antisemitischen und menschenverachtenden Ideologie entlarvt werden! Wenn mal wieder in Berlin Tausende „für das Leben“ marschieren, in Fulda Gebetszüge durch die Straßen ziehen oder hier in Frankfurt Mahnwachen „für das ungeborene Leben“ vor Beratungsstellen stattfinden, ist das Ziel nicht, wie propagiert, für das Leben zu kämpfen! Wenn der radikale Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen, der Betreiber der Website ‚Babycaust‘, die Gießener Ärztin Kristina Hänel (wie noch viele andere) bereits zum vierten Mal angezeigt hat und sie mit KZ-Aufseher*innen gleichsetzt, ist dies auch nicht ‚für das Leben‘! Zusammen mit der Union und der AfD versuchen Abtreibungsgegner*innen das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung und damit die Vielfalt an Lebensentwürfen, sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten einzuschränken: Das können und wollen wir nicht hinnehmen!

Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist in den letzten Jahren unter Druck von rechts und der fehlenden gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema immer schwieriger geworden. Seit 2003 ist die Zahl der „Meldestellen“ in Deutschland, um fast 45 Prozent zurückgegangen. So ist die Vorsorgungssituation vor allem in ländlichen Regionen wie in Niederbayern oder der Oberpfalz teils so schlecht, dass viele Schwangere mehrere hundert Kilometer fahren müssen, um einen Abbruch durchführen zu können. Die Corona-Krise hat nun verstärkt gezeigt, was wir längst wissen: Schwangerschaftsabbrüche müssen Teil der medizinischen Grundversorgung werden – hier in Deutschland und weltweit! Wir können es nicht hinnehmen, dass Schwangeren ein Abbruch verweigert wird, weil er in der Krise nicht mehr als notwendige medizinische Leistung gilt! Wir können nicht mehr hinnehmen, dass Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen bedroht, kriminalisiert und gleichermaßen wie Schwangere, die sich für einen Abbruch entscheiden, stigmatisiert werden!

Alle Schwangeren müssen das Recht auf und den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch haben. Weder Alter, sozialer Status, Be_hinderung, Weltanschauung, rassistische Zuschreibungen, Aufenthaltsstatus, Sexualität oder Geschlechtsidentität dürfen dabei eine Rolle spielen. Körperliche Selbstbestimmung ist ein grundlegendes Menschenrecht und muss daher genauso umfassend für Menschen, die schwanger werden können, gelten, wie für alle anderen auch!

Deshalb fordern wir: Weg mit §218 und §219a! Der Staat hat nichts in unseren Gebärmuttern zu suchen!

Wir fordern die volle Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen als Krankenkassenleistung – statt die finanzielle Last den ungewollt Schwangeren zuzumuten. Wir fordern kostenlose Verhütungsmittel und eine flächendeckende Versorgung, damit der Zugang zu einem Abbruch nicht davon abhängig ist, ob du auf dem Land oder in der Stadt wohnst. Wir fordern die Aufnahme von Schwangerschaftsabbrüchen als verpflichtender Teil der medizinischen Ausbildung. Wir fordern, dass Schwangerschaftsabbrüche endlich ein echter Teil der öffentlichen Grundversorgung werden!

Schwangerschaftsabbruch ist Grundversorgung! Egal wo. Egal wer. Egal warum.