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Reden

Redebeitrag 25.11.20

Tag gegen patriarchale Gewalt

In Deutschland wird jeden dritten Tag eine Frau* von ihrem Partner bzw. Ex-Partner getötet. Im Alltag bekommt man davon selten etwas mit: Geschlechtsbasierte Gewalt bleibt meist dort, wo sie passiert, hinter verschlossenen Türen, im vermeintlich Privaten. Das muss sich ändern! Das Private ist politisch und Geschlechtergerechtigkeit kann es nur geben, wenn das Herrschaftssystem Patriarchat in allen Lebens- und Arbeitsbereichen bekämpft und aufgelöst wird.
Über Morde an Frauen* wird immer noch selten berichtet, und wenn, dann verharmlosen die  Darstellungen der Presse das Problem zumeist.

Dabei werden Morde als Beziehungsdelikte, Eifersuchtsdramen oder häusliche Gewalt verhandelt und heruntergespielt oder mit rassistischen Zuschreibungen, u. a. als Ehrenmord, skandalisiert. Überregional berichtet wird meist nur dann, wenn die Tat von besonderer Brutalität gekennzeichnet ist, von einem migrantischen Partner oder im Ausland begangen wurde.
In allen anderen Fällen beschränkt sich die Berichterstattung meist auf Lokal- und Boulevardzeitungen, wodurch sie als unzusammenhängende Einzelfälle erscheinen. Doch diese Morde haben System und das System heißt Patriarchat! Diese Morde sind Morde an Frauen* und Queers, weil sie Frauen* und Queers sind. Es sind keine Familiendramen, Eifersuchtsszenen oder eskalierte Ehestreits.
Das Motiv dieser Morde ist Frauenhass! Wir fordern, dass die Morde an Frauen* auch als solche benannt und politisch eingeordnet werden – um als solche bekämpft zu werden! Deswegen sprechen wir von Feminiziden. Der Begriff wurde unter anderem durch die mexikanische Professorin für Anthropologie und feministische Aktivistin Marcela Largade geprägt, in Abgrenzung zum Wort Homocid – Mord.
Feminizide sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck und Materialisation struktureller Gewalt, die ihre Ursache in patriarchalen Machtverhältnissen haben.
Das Risiko für patriarchale Gewalt steigt, wenn traditionelle Geschlechterarrangements und Machtverhältnisse infrage gestellt und angegriffen werden. Beispiele hierfür sind der Wiedereinstieg von Frauen* ins Berufsleben, ein Trennungswunsch oder der Arbeitsverlust des Mannes. Patriarchale Gewalt ist somit ein Mittel, die Geschlechterhierarchien aufrechtzuerhalten oder wiederaufzurichten.
In der Corona-Krise ist die Gefahr, Opfer von patriachaler Gewalt zu werden, weiter angestiegen. Kontakte sollen beschränkt werden, „stay at home“ ist die neue Held*innenmaxime der Bundesregierung. Was das für Frauen* und Kinder bedeutet, die mit einem gewalttägigen Partner zusammenwohnen, ist klar. Gleichzeitig sind die Frauenhausplätze wegen Corona noch knapper, die Beratungsangebote werden reduziert und kontaktfrei durchgeführt.
Aber gerade jetzt brauchen Betroffene direkte Unterstützung und sichere Zufluchtsorte! Jede Betroffene ist eine zuviel! Wir sagen: keine mehr!
Das ganze Ausmaß patriarchaler Gewalt wird aber erst deutlich, wenn wir betrachten, wie Frauen* und Mädchen und wie viele queere und Trans Personen weltweit betroffen sind. Während Corona gab es in Mexiko zum Beispiel von Januar bis einschließlich April 2020 987 Morde an Frauen*, 308 wurden als Feminizide eingestuft.
An diesem Tag gegen patriarchale Gewalt ist es wichtig zu betonen, dass sich die Gewalt nicht nur gegen Frauen* und Mädchen richtet, sondern gegen alles vermeintlich Weibliche* – damit sind auch queere Menschen, die sich gegen die binäre Geschlechterordnung auflehnen oder männlich gelesene Menschen, die sich vermeintlich „zu weiblich“ verhalten genauso von dieser Gewalt betroffen. Das so wahrgenommene Weibliche* wird im Patriarchat in jeder Form abgewertet. Besonders betroffen von mörderischer patriarchaler Gewalt sind trans Frauen – das trans Murder Monitoring zählt allein für 2019 350 Morde an trans Personen weltweit, die überwältigende Mehrheit von ihnen trans Women of Color“.
Die Zahlen zeigen: partriarchale Gewalt ist ein weltweites Problem, dem wir mit internationaler Solidarität begegnen wollen, indem sich feministische Bewegungen weltweit vernetzen, bündeln und gemeinsam kämpfen. Feministische Bewegungen in Lateinamerika kämpfen schon seit Jahren gegen die anhaltende Gewalt des Patriarchats. Während aber in vielen Ländern in Südamerika der Feminizid bereits politische Kategorie und Straftatbestand ist, fehlt eine solche Kategorisierung in Deutschland noch.
Die strukturelle Beschaffenheit von Feminiziden hat nicht zuletzt die argentinische Bewegung Ni Una Menos („Nicht eine weniger“) in den Mittelpunkt gestellt, die diese in einen Protest übersetzten, der weltweit Anschluss findet.
Die Ni Una Menos Bewegung fand ihren Anfang am 03. Juni 2015, nach dem Mord an Chiara Paéz, einer 14-Jährigen Argentinierin, ermordet von ihrem Freund – weil sie keine Abtreibung vornehmen lassen wollte. Ein Mord wie er in Argentinien alle 32 Stunden passiert – und doch führte dieser zu Massenprotesten auf der Straße und in sozialen Medien. Die rasante Ausbreitung der Bewegung in Lateinamerika zeigt dabei eindrücklich auf, wie widerständige (vor allem nicht weiße) Frauen* – ob gegen den Staat, den Partner oder Ex-Partner, der Wehrhaftigekeit gegen Landenteignung und Umweltzerstörung oder in der wahrgenommenen Provokation queerer feministischer Lebensweisen – niedergehalten und eingeschüchtert werden sollen.
„Ni Una Menos“ heißt auf deutsch „nicht eine weniger“. Denn, jeder Mord an Frauen* und an Queers ist einer zu viel. Und nehmt ihr uns eine*, kommen wir alle!
Deswegen werden wir hier und heute den ‚Liebfrauenberg‘ in ‚Ni-Una-Menos-Platz‘ umbennen und uns nach jedem Feminizid im Raum Frankfurt wieder hier auf diesem Platz versammeln, um gemeinsam der Opfer zu gedenken und gegen patriarchale Gewalt zu protestieren.
Mit der Umbenennung möchten wir unsere Solidarität mit der Bewegung in Argentinien und allen feministischen Kämpfen gegen patriachiale Unterdrückung und Gewalt weltweit ausdrücken. Wir müssen anfangen, internationalistisch die Kämpfe gegen strukturelle Gewalt an Frauen* und Queers zu verbinden. Deswegen wollen wir einen Platz schaffen, um an die ermordeten Frauen* und Queers zu erinnern und die Gewalt dieser Taten und Täter sichtbar zu machen.
Den Auftakt zur Platzumbenennung hat Women Defend Rojava am 07. Juni 2020 gemacht, als drei Frauen in Rojava (Syrien) von türkischen Drohnen ermordet wurden – daran wollen wir nun anschließen. Mit den Worten der Feministischen Warnungen der Alertas Feministas aus Uruguay: Lasst uns den öffentlichen Raum besetzen und unsere Körper selbst zu Subjekten unseres Kampfes machen, die sprechen und kämpfen und nicht länger schweigende Objekte von Gewalt sein sollen!
Die Zeit der lieben Frauen* ist vorbei!
Alterta feminista!