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Reden

Redebeitrag 12.12.20

Solidarisch durch die Krise

Heute sind auch wir vom Feministischen Streikkollektiv Frankfurt wieder auf der Straße, um mit vielen gegen diejenigen zu protestieren, die ihre Kritik an den Corona-Maßnahmen in ein Geschwurbel von Freiheit kleiden und Seite an Seite mit Nazis und ReichsbürgerInnen marschieren. Wir stellen uns gegen die protestierende Minderheit, die die Realität des Virus und seine Gefährlichkeit nicht anerkennen will. Diese Realität auszublenden bedeutet, das Sterben von Menschen in Kauf zu nehmen. Wenn die Verdrängung zum Prinzip wird, ist sie, ob durch aktives Handeln oder Unterlassen, ein Tötungsmechanismus. Eine solche Haltung kennen wir aus dem Faschismus. Wir wenden uns gegen diejenigen, für die es zu ihrer Vorstellung von Freiheit gehört, sich nicht um die Folgen, die das eigene Verhalten für andere hat, zu scheren. Eine solche Freiheit ist nichts anderes als Rücksichtslosigkeit, sie ist verkettet mit zerstörerischem Handeln und dem Gefährden von Leben.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir finden es richtig und notwendig, die staatlichen Corona-Maßnahmen und das aktuelle Krisenregime zu kritisieren. Deshalb waren wir mit der Seebrücke im April auf der Straße um für das Recht auf Demonstrationsfreiheit einzutreten, deshalb haben wir zu vielen Gelegenheiten in den letzten Monaten unsere Kritik in die Öffentlichkeit getragen.

Im April schon äußerten wir uns zusammen mit Feminist*innen weltweit in einem transnationales Manifest, das wir mittragen. Wir stellten schon damals fest:

Das Coronavirus trifft uns alle, die Auswirkungen der Pandemie aber unterscheiden sich –​​​​​​​ und das noch deutlicher, wenn wir sie aus einer Perspektive betrachten, die von unseren Positionen als Frauen* und queeren Personen ausgeht. Und obwohl die Maßnahmen der Staaten nicht einheitlich sind, folgt die kapitalistische Antwort auf die Krise überall auf der Welt derselben Logik: sie stellt die Interessen des Kapitals über unsere Gesundheit, indem sie die tatsächlichen Kosten dieser Krise auf uns abwälzt und dauerhafte Effekte hervorbringt.

Man weist uns an zuhause zu bleiben, ohne in Betracht zu ziehen, dass das für viele von uns kein sicherer Ort ist und es Personen gibt, die nicht einmal ein Zuhause haben. Feminizide und geschlechtsspezifische Gewalt, aber auch die Gewalt an Kindern im Zuhause haben seit Beginn dieser Krise zugenommen. Quarantänemaßnahmen und Ausgangssperren haben es Frauen* und Queers noch schwerer gemacht, gegen patriarchale Gewalt zu rebellieren und unserem Willen zu Freiheit und Selbstbestimmung Ausdruck zu verleihen.

Wir haben ganz konkret in Frankfurt auf das Problem von patriarchaler Gewalt, Feminiziden und fehlenden Schutzräumen hingewiesen. Durch die Pandemie sind Frauenhausplätze und andere Schutzräume noch knapper. Auch Beratungsangebote werden reduziert und zum Teil kontaktfrei durchgeführt. Doch gerade jetzt brauchen Betroffene direkte Unterstützung und sichere Zufluchtsorte! Erst vor wenigen Wochen haben wir den Liebfrauenberg mit Verweis auf die feministischen Kämpfe in Lateinamerika und weltweit zum Ni-una-menos-Platz, zum „Nicht-eine-Weniger“-Platz umbenannt und eine Verdreifachung der Frauenhausplätze binnen Jahresfrist gefordert.

Per Verordnung wurden im Frühjahr so genannte „verschiebbare Operationen“ ausgesetzt. Das sind solche Operationen, die als nicht dringlich oder überlebensnotwendig angesehen werden. Eine Maßnahme, die angesichts der knappen Kapazitäten in den Kliniken auch gerade jetzt wieder diskutiert wird. Im Frühjahr brauchte es erst feministischen Widerstand bis klargestellt wurde, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht hierunter fallen. Weltweit wird unter dem Deckmantel der Krisenregime derzeit das Recht auf Schwangerschaftsabbruch von rechts und durch autoritäre Krisenregime angegriffen.

Die Krise greift nicht nur die unterschiedlichen materiellen Bedingungen der Reproduktion an, sie macht die Arbeit von Frauen* und Queers gleichzeitig noch prekärer und intensiver. In der Pandemie wird ein Teil der Arbeit und Ausbeutung sichtbarer, der sonst unsichtbar bleibt. Wir haben die Arbeit derjenigen gesehen, für die Corona auch während des Lockdowns keine Pause erlaubte. Plötzlich hatten die einen viel Zeit und nix zu tun und die anderen wussten gar nicht, wo oben und unten ist, wo anfangen und aufhören, wohin mit den Kindern, und zu allem Überfluss wurden für einige die Arbeitszeiten krisenbedingt ausgeweitet. Sie wurden zu „Held*innen“ erklärt, die Kolleg*innen in den Krankenhäusern, in der Pflege und andere, sollten beklatscht werden. Bekommen haben sie dafür meist nix außer noch mehr Arbeit und noch weniger Zeit.

Wir hatten bereits den 1. Mai zum Tag der Sorgearbeit ausgerufen – und unsere Forderungen von damals bleiben brandaktuell:

  • Mehr Personal, bessere Gehälter und Arbeitsbedingungen für alle, die in Bereichen arbeiten, die in der Krise endlich als systemrelevant erkannt wurden
  • Abschaffung der Fallpauschalen und bedarfsgerechte Finanzierung der Gesundheit
  • Eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich
  • Lohnfortzahlung nicht nur bei Betriebsschließungen, sondern auch bei Kurzarbeit und bei notwendiger Kinderbetreuung bei KiTa- und Schulausfall
  • Eine repressions- und barrierefreie Grundsicherung
  • Ausbau von Schutzräumen für Frauen* und Queers, Wohnungslose, Geflüchtete und Kinder

Was muss passieren, bis die unbezahlte und berufliche Carearbeit als „systemrelevant“ begriffen wird, dass Carearbeit uns alle angeht? Bis verstanden wird, dass es mit mehr Intensivbetten oder Beatmungsgeräten nicht getan ist? Am Pflegenotstand hat sich nichts geändert. Care-Arbeiter*innen arbeiten unter erschwerten Bedingungen, haben ein hohes Ansteckungsrisiko, die geplanten Personaluntergrenzen sind wegen Corona erstmal ausgesetzt, in einigen Bundesländern wurde die wöchentliche Höchstarbeitszeit sogar auf 60 Stunden heraufgesetzt. Die Situation in Altenheimen derzeit ist mehr als prekär, Pflegekräfte sind infiziert und arbeiten teilweise trotzdem weiter, weil sich sonst niemand kümmert. Auch in anderen Bereichen, wie in der Kinderbetreuung und Bildung, wird der Gesundheitsschutz der dort Beschäftigten nachrangig behandelt, um die Einrichtungen offen zu halten, damit die Wirtschaft weiterläuft.

Gerade sind wir in der Tagespolitik wieder an der Einsicht angekommen, dass ein „hammer“ light für das Private (und Gastro, Kultur und alles, was Spaß macht) und weiter „dance“ in weiten Teilen des kapitalistischen Normalbetriebs nicht funktionieren – und das Virus da keinen Unterschied macht. Für einen „hammer“ im Sinne eines harten Lockdowns fordern wir, die sozialen Folgen eines solchen im Blick zu halten – ganz ohne die verklärte Debatte um Weihnachten. Denn wir wissen, was wieder passieren wird: Sorgearbeit wird wieder zulasten von Frauen* und Queers verteilt, Kinder werden sich selbst überlassen und wohnungslose, bedürftige, kranke und einsame Menschen allein gelassen, wir werden mehr patriarchale Gewalt sehen. Wir brauchen hier akute Hilfen und Unterstützung – und hier neben der Solidarität der Gemeinschaft einen Ausbau professioneller Hilfen.

Doch auch die sind akut bedroht: Der Frankfurter Kämmerer Becker kündigt angesichts der Corona-bedingten Einnahmeausfälle einen harten Sparkurs an; auch auf anderen Ebenen wird weder die Schuldenbremse angetastet noch eine echte Umverteilung wie eine Vermögensabgabe konkret gemacht.

Wir wollen aus dieser „Notlage“ nicht noch verschuldeter und ärmer herauskommen! Wir fordern einen solidarischen Ausweg aus der Krise, der nicht mehr zu einer „Normalität“ zurückkehrt, die durch Ungleichheiten und Gewalt aufrechterhalten wird. Auch wir protestieren für „die Freiheit“ – aber in Solidarität. Denn es sind die Formen des Miteinanders – die Sorge um uns, unsere Mitmenschen und unsere Umwelt –​​​​​​​, die wir ausbauen müssen. Der Feminismus hat uns gelehrt: Ein „ich“ außerhalb eines „Wir“ gibt es nicht. Wir sind miteinander verbunden, aufeinander angewiesen und abhängig von der Welt, die uns umgibt. So wie unsere Kämpfe und gemeinsamen Lösungen miteinander verwoben sind.

Wir werden weiterhin für das Leben kämpfen, das wir uns wünschen und von dem wir träumen. Dieser Kampf kann nur feministisch, antirassistisch, solidarisch und von unten sein. Vereint überstehen wir nicht nur die Pandemie, sondern können alles ändern!